Miriam Maslowski: 29. Mainzer Kunstpreis Eisenturm 2023 „Phönix“ → zum Text

Clemens Ottnad, Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg:
Spurensicherung. Aus: Trauer unterm Davidstern, Staatsarchiv Ludwigsburg, 2022 → zum Text

Dr. Caroline Li-Li Yi: dactylogramme, Kunstverein Bahlingen a.K., 2022 → zum Text

Clemens Ottnad, Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg: Pflanzungen,
Städtisches Museum Engen + Galerie, 2022

Clemens Ottnad, Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg: Mythos Grün,
Kunstbezirk Stuttgart, 2022

Clemens Ottnad, Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg: Naturraum,
Kunstverein Biberach, 2021 → zum Text

Dr. Stephan Trescher: Moment Mensch, Kunstverein Paderborn, 2021

Dr. Kristina Hoge: Natur im Raum, xylon – Museum + Werkstätten Schwetzingen, 2021

Dr. Barbara Renftle: Bewölkt. Der Himmel in der Kunst – vom Goldgrund zum Wolkenberg, Biberach, 2020 → zum Text

Clemens Ottnad, Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg: Pflanzungen, 2020 → zum Text

Nicole Nix-Hauck M.A.: Druck³ Zyklen und Zeichen, Städtische Galerie Neunkirchen, 2019

Dr. Mirjam-Christina Redeker: Grenzland Traumland, Collegium Maius Erfurt, 2019

Clemens Ottnad, Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg: Refugien
Kunstraum kleine Galerie Bad Waldsee, 2019 → zum Text

Marjatta Hölz M.A.: Waldstücke, Städtische Galerie im Alten Spital Bad Wimpfen, 2018

Dr. Heike Piehler M.A.: Waldstücke, Kunstforum Hochschwarzwald, Titisee-Neustadt, 2018

Clemens Ottnad, Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg: Gebiete,
Galerie der Stadt Wendlingen am Neckar, 2018 → zum Text

Prof. Dr. Helge Bathelt M.A.: (Grenz)Räume (Raum)Grenzen, Galerie im Bürgerhaus, Kulturkreis Sulzfeld, 2017

Dr. Simone Husemann: Lost in migration. Aus: Positionierung zur Transzendenz „Hier stehe ich!… Standpunkte die bewegen“, 2017 → zum Text

Dr. Catharina Raible: über Grenzen, Bürgerstiftung Kunst für Güglingen, 2016

Reinhold Weinmann M.A.: Galerie Grandel: Grenzland / Traumland, Kunstförderverein Weinheim, 2016

Dr. Johann-Peter Regelmann M.A.: überregional, Museum Oberes Donautal Mühlheim, 2015

Dr. Otto Martin: 22. Mainzer Kunstpreis Eisenturm, Kunstverein Eisenturm Mainz, 2006

Dr. Stefan Borchardt: Schild und Speer, Museum im Kleihues-Bau Kornwestheim, 1998

1. Preis des 29. Mainzer Kunstpreis Eisenturm 2023 „Phönix“
Hans-Jürgen Imiela Gedächtnispreis

aus:
Miriam Maslowski
Einführung im MVB-Forum, September 2023

Guten Abend liebe Gäste, ich begrüße Sie ganz herzlich zur Verleihung des 29. Mainzer Kunst-preises, hier im MVB-Forum.

Das Motiv des Wundervogels „Phönix“ hat in Mainz eine besondere Bedeutung. Seit 1960 zierte ein Bronzerelief des Phönix der Künstlerin Emy Roeder den Eingangsbereich des damals neu errichteten kunsthistorischen Instituts am Binger Schlag. Der Wirkungsstätte des Kunsthistorikers Hans-Jürgen Imiela also, dessen Werk mit diesem Preis gedacht wird. Sicherlich erinnern sich noch viele der heute Abend Anwesenden an dieses Abbild des so kraftvoll aufsteigenden Vogels und die darunter angebrachte lateinische Inschrift „sed de suo resurgit rogo“ („aber aus sich heraus entsteigt er der Asche“), die auf den Wiederaufbau der von Bomben schwer beschädigten Stadt Mainz verwies.

Die Geschichte des Wundervogels Phönix wurzelt zwar in der ägyptischen Mythologie, doch hat sie sich im Laufe der Zeit verändert, bis sie schließlich zu dem wurde, wie wir sie heute kennen: der Vogel, der sich selbst verbrennt, um aus der eigenen Asche wieder zu neuem Leben aufzuerstehen. Ein Symbol für den niemals endenden Zyklus von Tod und Genese also, dem gleichermaßen Trauer und Hoffnung innewohnen. Als solches hat er seit der Antike Eingang in zahllose Kunstwerke gefunden. Die Eigenschaften des Vogels, wie seine künstlerische Umsetzung, haben sich dabei den jeweiligen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen angepasst und wurden somit zum Spiegelbild seiner Umgebung.

(…) Den ersten Preis erzielt Sibylle Möndel mit ihrem Werk „o. T.“. Wir blicken auf einen sterbenden schwarzen Vogel, auf asphaltartigem Untergrund liegend, einen Flügel, mit aufgespreiztem Gefieder weit nach oben ausgestreckt. Blaue Spuren im Federkleid verweisen auf die letzten Reste schwindender Lebenskraft, während das Orange des glühenden Feuers bereits den Akt der Zerstörung bezeugt. Leicht wie verkohlte Papierschnipsel fliegen die zu Asche verkohlten Federfragmente davon und – hier offenbart sich uns das Wunder des Phönix – verwandeln sich vor unseren Augen in einen ganzen Vogelschwarm. Dabei bedient sich die Künstlerin eines optischen Tricks, indem sie den sterbenden Vogel wie mit einem unsichtbaren Objektiv heranzoomt, die ebenfalls nahen Aschepartikel aber zu einem in einiger Entfernung fliegenden Schwarm verwandelt. Wir nehmen als Betrachter also gleich verschiedene Perspektiven ein. Zugleich bettet die Künstlerin das Geschehen in einen zeitgenössischen Rahmen. Der sterbende Vogel auf Asphalt fragt danach, wieviel Raum wir den Tieren in unserer Umwelt zugestehen, verweist aber auch auf die Regenerationsfähigkeiten der Natur, die den Menschen sicher überleben wird. Sibylle Möndel verbindet die Technik des „gestischen Malens“, einer authentisch-assoziativen Malweise also, mit der Technik des Siebdrucks. Das Ergebnis sind sich überlagernde Ebenen, die in Kombination mit einer zurückhaltenden Farbgebung eine atmosphärisch dichte Bildwelt schaffen, in welche die Künstlerin das Thema des Phönix stimmig eingebettet hat. Ein sehr verdienter erster Preis, wie wir finden.

dactylogramme

aus:
Dr. Caroline Li-Li Yi
Eröffnungsrede im Kunstverein Bahlingen a.K., Juli 2022

(…) Bereits der Titel der Ausstellung, dactylogramme zielt direkt auf das unverwechselbare Sujet, das die Künstlerin gewählt hat, den Finderabdruck. Sibylle Möndel zeigt über 40 Werke: Siebdruck und Malerei, die dieses Jahr entstanden sind und in Einzelfällen auf Arbeiten der letzten Jahre rekurrieren. Die spielerischen Verbindungen, die zwischen Malerei und Siebdruck entstehen, so wie die große Virtuosität, mit der sie das Siebdruckverfahren anwendet, machen die besonderen Reize dieser Schau aus.

Mit der Art und Weise wie die Werke in den Räumen gezeigt werden, gestaltete die Künstlerin für uns Wege des Sehens, die uns in die Themen Ihrer künstlerischen Arbeit einführen. Ich lade Sie ein, liebe Anwesenden, lassen Sie uns gemeinsam diese Pfade ergründen.

In Ihrem umfangreichen Œuvre beschäftigt sich die Künstlerin immer wieder mit den Themen Identität und Wandel. Im Zyklus dactylogramme verbindet sich der stetigen Wandel, in Form des Unterwegsseins mit der Identität des Einzelnen. Deutlich wird, dass diese Identität keineswegs statisch ist, sondern sich durch verschiedene Einflüsse stets neu einschreibt.

Dactylogramm, der Fingerabdruck – für uns, wenn wir uns als Teil einer Gesellschaft begreifen, ist der Fingerabdruck identitätsstiftend. Mit keinem anderen Merkmal verbinden wir so sehr unsere Einzigartigkeit. Gibt man das Stichwort Identität in der Bildersuche im Internet ein, so erscheinen schon in den ersten Treffern die vertrauten Formen von Wirbeln und fortlaufenden Linien, welche sich zu der ovalen Kodierung einer Persona formieren. In der Kriminalistik ist der Fingerabdruck, originär oder genetisch, stets präsent, wenn es um die Beweisführung geht. Aber auch in unserem Alltag finden wir sie, die Fingerabdrücke: hilfreich als Fingerabdrucksensoren auf unseren Smartphones oder vielleicht etwas störend, wenn sie auf den Displays eben dieser Smartphones oder auf Brillengläsern Spuren hinterlassen.
Verklärend, wenn wir von unseren Kindern und Enkeln die Hand- und Fußabdrücke betrachten, aus denen sie längst entwachsen sind.

In der Kunstgeschichte findet der Fingerabdruck immer dann große Beachtung, wenn es um die Authentizität von Kunstwerken geht. Das bekannteste Beispiel ist die Bella Principessa für welche die Identität Leonardo Da Vincis als Schöpfer des Werks anhand eines Abdrucks nachgewiesen werden sollte. Als Gestaltungsmittel finden wir Fingerabdrücke vor allem in der Bildhauerei, wenn Oberflächen Bewegung und Lebendigkeit vermitteln sollen. Beredte Beispiele sind die Skulpturen von Camille Claudel und Auguste Rodin: Fingerabdrücke, Klümpchen und Gussnähte legen die künstlerische Handschrift offen.

So ist es ein besonderer Geist, in dem uns Sibylle Möndels Arbeiten gegenübertreten, denn sie verhandeln die Identität der Künstlerin, stellvertretend für die Gesellschaft. Vergrößert und vervielfältigt, gemalt und gedruckt – jedes Mal neu zu entdecken und doch stets die Fingerspitzen der Künstlerin.

Zu Beginn Ihrer Arbeit für diese Ausstellung ließ Sibylle Möndel ihre eigenen Fingerabdrücke mittels verschiedener erkennungsdienstlicher Methoden erfassen. Mit den Aufnahmen ihrer Fingerkuppen arbeitete sie dann weiter und näherte sich dem Thema zunächst analytisch an, bevor sie dann eine feine Synthese generiert. Stück für Stück zergliederte die Künstlerin ihre Abdrücke und somit ihre eigene Identität und drang in die Tiefe der Materie vor. (…) 

Der Prolog der Ausstellung wird von den Arbeiten Wege gebildet, sie stimmen uns auf die Bewegung ein, die als spürbares, und zartes visuelles Grundmotiv in dieser Ausstellung schwingt. Einfühlsam nimmt uns die Künstlerin an der Hand und beschreitet ein Stück des Weges mit uns.

Der Fingerabdruck als einstimmendes Motiv und die Textfragmente aus dem Gedicht die häuser des iranischen Lyrikers SAID stimmen uns auf die Begegnungen ein, die uns im Strudel der Identitätsfragen begegnen können.

Sibylle Möndel stellt im Werkzyklus dactylogramme feinsinnig die gängigen Kategorien unserer Identität in Frage und befähigt die uns innewohnende Individualität neue Blicke auf alte Muster zu werfen.

Im Zusammenspiel der Arbeiten dactylogramme 1-20 sind Fingerabdrücke neben abstrakte Formen zu sehen, die jedoch den gleichen Ursprung haben. In den stark vergrößerten Linien der Abdrücke zeigt die Künstlerin den Betrachtenden Strukturen, die als detailreiche Ornamente über Bildflächen mäandern oder in abstrakten, schwarzen Binnenflächen den Rhythmus des Bildes bestimmen.

dactylogramme 7-14 zeigen uns delikate, rechtwinklige Linien, die den Ursprung der Abdrücke, die Bestandsaufnahme durch technische Mittel, andeuten. Die Künstlerin gibt hier dem Medium Farbe eine besondere Rolle. Sie verwendet die klassischen Farbtöne der Inkarnatmalerei und verweist damit subtil auf das menschliche Merkmal der Hautfarbe im Spannungsfeld der Identität.

Die Vergrößerungen der Abdrücke erscheinen durch ihre Abstraktion wie ein codiertes Speichermedium, in dem Informationen über uns bis ins kleinste Detail abgelegt sind. Indem die Künstlerin Arbeiten früherer Werkzyklen wieder aufnimmt und neu interpretiert wird ihr eigenes Werk zum Bilderspeicher und wir werden Zeugen eines kontinuierlichen Wandels.

So schürft Sibylle Möndel mit ihren ästhetischen Mitteln in den Tiefen der eigenen Geschichte und fördert wundersame Strukturen ans Tageslicht. Den Aspekt der Individualität fügt die Künstlerin gewandt ein, indem sie das Grenzgebiet zwischen einer, von außen zugeschriebenen, Identität und einer intrinsischen Individualität auslotet. Zwar sind unsere dactylogramme unverwechselbare Identitätsmerkmale, aber gleichzeitig lassen sich aus der Handmarke kaum Rückschlüsse auf Kategorien wie Nationalität, Herkunft oder Geschlecht ziehen. Sehr eindrucksvoll ist dies in den kleinen Arbeiten dactylogramme 17-32 im Obergeschoß zu sehen. Die auf Rohleinwand gedruckten Abdrücke verbinden sich vor dem geistigen Auge zu einem großen Depot der Aspekte des menschlichen Seins.

Im aktuellen Kontext gesehen verweisen Sibylle Möndels Arbeiten auf die Möglichkeit, unsere selbst definierte Identität – und nicht die Zugewiesene – als innere Quelle zu verstehen. Als Quelle, die uns im stetigen Wandel und gegenüber den Anforderungen der Gegenwart Kraft geben und Hoffnung ermöglichen kann, mutig in neue Gebiete vorzudringen.

Ich lade Sie, liebe Anwesende nun herzlich zum Rundgang ein. Machen Sie sich gemeinsam mit den wundervollen Arbeiten von Sibylle Möndel auf den Weg und werfen Sie neue Blicke auf alte Muster.

Spurensicherung

Katalogauszug:
Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker (Stuttgart) Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg,
Trauer unterm Davidstern – Malerei und Druckgrafik von Sibylle Möndel, Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2022

Anlass zum Bild
Für das aktuelle Projekt Trauer unterm Davidstern (2022) hat Sibylle Möndel eine eigene Bildkonzeption entwickelt, die sowohl ausdrucksstark und präzise die gestellte Thematik jüdischen Lebens in der Region aufgreift als auch in idealer Weise den zur Verfügung stehenden Ausstellungsraum nutzt, um eine augenfällige Brücke zwischen dem kollektiven Erinnerungsspeicher auf der einen Seite und dem Archiv als Ort des Bewahrens und Zeigens auf der anderen Seite zu errichten. In Anlehnung an verschiedene Grabsteine, die sie auf den jüdischen Friedhöfen in Freudental und Laupheim vorgefunden hat, sind jeweils quadratische Leinwände als in sich geschlossene Zeichensysteme entstanden, die mit Asche grundiert worden sind und danach teilweise bemalt und bedruckt wurden. Die vorgefundenen hebräischen Inschriften und Schmuckelemente erscheinen dabei ausschnitthaft isoliert, sodass sie ebenfalls eine Art Verrasterung wie die oben genannte ausbilden, über die wiederum stark vergrößerte einzelne Schriftzeichen vorgeblendet sein können. An den Hauptpfeilern der Räumlichkeiten formieren sich jeweils neun dieser Quadrate zu zusammengehörigen Bildtableaus, die durch ihre spezifische Farbigkeit – Gelb, Sandstein, Rot, Blau und Grau – je individuell gekennzeichnet sind. Die neun-teiligen Tableaus ergänzen Einzelwerke zum Thema an den umliegenden Wänden sowie kleinerformatige Leinwände, die nicht auf Leinrahmen montiert und ausschließlich mit Siebdruck bearbeitet sind.

Wie bereits bei anderen Arbeiten kombiniert Sibylle Möndel im Werkkomplex Trauer unterm Davidstern auf diese Weise bildhafte Elemente, die zunächst allgemeinverständlich erscheinen, mit einem rätselhaften Subtext, in diesem Fall den hebräischen Textteilen, die sich Schriftunkundigen gemeinhin nicht erschließen und wie vegetabile Zeichendickichte wirken. Während also bekanntermaßen eine Schale das Gefäß des sterblichen Menschenkörpers für die Seele repräsentiert, das Mohngewächs den Tod als Schlaf, und die Sterne für die Ewigkeit stehen, bleibt uns die Bedeutung der Inschriften selbst – und welche konkreten Persönlichkeiten sie tatsächlich betreffen – verborgen. Einem Palimpsest ähnlich überlagern sich Schrifttexte aus verschiedenen Zeiten und Zusammenhängen ebenso wie sich die verschiedenen Malschichten und Druckvorgänge gegenseitig verdichten. War die Lebensgeschichte und das Wirken eines ganz bestimmten Individuums der eigentliche Ausgangspunkt für die Gestaltung des Grabsteins, der Sibylle Möndel als Ausgangspunkt ihrer Arbeit diente, gilt die Rezeption durch die Künstlerin einer überpersönlichen und überzeitlichen Charakteristik menschlichen Daseins allgemein, das immer nur im Moment- und Ausschnitthaften erfahrbar ist.

Spuren und Fährten
Im Werkkomplex Trauer unterm Davidstern kommen insofern gleich mehrere Merkmale zusammen, die charakteristisch für die künstlerische Arbeit von Sibylle Möndel insgesamt sind. Die Grabsteine der jüdischen Verstorbenen lassen Spuren menschlicher Existenz in der Natur sichtbar werden, ohne dass die menschliche Figur unmittelbar darin erscheint. Sowohl die räumliche Verteilung der Steine auf dem Friedhofsgelände als auch ihre jeweilige Gestaltung – Schmuckformen, Schriftfelder u.ä. – geben ein gewisses Raster vor, das die Künstlerin aufnimmt und in eine raumbezogene Installation unter Verwendung eines gebundenen Zeichensystems verwandelt. Der Verwitterung der Steinoberflächen in der Natur entspricht die zurückhaltende Farbigkeit der Leinwandarbeiten – in der Malerei durchscheinende Schlieren die Schleier der Vergangenheit –, beides gleichermaßen das allmähliche Verblassen der Erinnerungen an ein gelebtes Leben, Geschichte und Geschichten widerspiegelnd. Am Aufbewahrungsort konkret fassbarer Archivalien entsteht so das immaterielle Vorstellungsarchiv der Künstlerin im Spannungsfeld mehr oder weniger les- und deutbarer Zeichen und Bilder, um Zeit an sich – Zeitvergehen wie Zeitalter – besser zu verstehen.
Nicht von ungefähr erinnern die von der Künstlerin auf die Pfeiler des Archivraums aufgebrachten Tafelfelder so an Kolumbarien, wie sie besonders in der römischen Antike geläufig wurden oder im mediterranen Raum noch heute in Gebrauch sind. Ursprünglich für Körperbestattungen vorgesehen, werden heute die aus Platzgründen mehrgeschossigen Schiebegräber jedoch für Urnengräber verwendet, deren Nischen jeweils mit Steinplatten verschlossen werden, die gewöhnlich den Namen und die Lebensdaten der Verstorbenen tragen. Aus den lichtlosen Katakomben verschütteter Erinnerungen und Emotionen sind sie an die Erdoberfläche gewandert, Leinwände nun mögliche Einfallstore zu den sich nach und nach abgelagerten Zeichen- und Bedeutungskammern.
Der sogenannten Fragmentierung auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung aber durchaus vergleichbar, wenn auf einem Datenträger logisch zusammengehörende Daten bruchstückhaft an verschiedenen Stellen abgespeichert werden, sind insbesondere Sibylle Möndels neunteilige Bildblöcke zu entschlüsseln. Autonome Darstellungen je für sich, zeigen viele der Bildtafeln eine Art Rapport, indem ein Textfeld von einer Tafel auf die nächste überspringt, Embleme und Ornamentelemente auf mehrere Tafeln verteilt erscheinen, bestimmte Farbtöne, Farbverläufe oder grafische Texturen eindeutig erkennbare Anschlussstellen zu ihren entsprechenden Bildgeschwistern aufweisen. Sorgen diese Fragmentierungen im Computerbereich in der Regel für eine eher hinderliche Verlangsamung der Lese- und Schreibvorgänge von Daten, bietet die Fragmentierung der Bildarbeiten von Sibylle Möndel dagegen die wohltuende Gelegenheit unsere Wahrnehmung zu entschleunigen, um letztlich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass eben doch Alles mit Allem zusammenhängt.

Naturraum

Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker (Stuttgart) Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg
Rede anlässlich der Eröffnung im Kunstverein Biberach, Dezember 2021

Es ist noch gar nicht all zulange her, da galten ursprüngliche Natur und Naturlandschaften als menschenfeindlich und bedrohlich. In den Weiten der Ozeane wurden schreckenerregende Seeungeheuer gefürchtet, auf hohen Berggipfeln wähnte man feuerspuckende Drachen und im tiefen Wald schienen den arglos sie Durchschreitenden ohne Unterlass grausame Räuber auflauern zu wollen. Die Wildnis – wilde, vom Menschen unberührte Natur – wurde gleichgesetzt mit Unordnung, Chaos und damit auch Gefahr. Was der Mensch nicht in von Obrigkeit und Kirche vorbestimmte Kategorien einzuordnen wusste, wurde als gefährlich, ja gar als lebensgefährlich angesehen. Erst mit dem Zeitalter der Aufklärung begann sich – mindestens im westeuropäisch geprägten Kulturbereich – das Verhältnis von Mensch und Natur grundlegend zu verändern. Mit dem fälschlicherweise dem Schweizer Philosophen Jean Jacques Rousseau zugeschriebenen Motto Zurück zur Natur! jedenfalls wurde – in Analogie zu allgegenwärtigen Phänomenen in der Natur, in der Pflanzen- und der Tierwelt – die Befreiung des Individuums von staatlich oder ideologisch aufoktroyierter Normierung propagiert.

Heutzutage dagegen vermag Natur kaum mehr Furcht – bedauerlicherweise auch kaum mehr Ehrfurcht, muss man sagen – einzuflößen. Eine Armada megalomaner Kreuzfahrtschiffe befährt noch die stürmischsten Weltmeere und ankert im entlegensten Fjord. Selbst auf dem Weg zum höchsten Gipfel des Mount Everest zieht sich mittlerweile eine alpinistische Warteschlange gigantischen Ausmaßes von den vermüllten Basislagern bis nach ganz oben. Und auch vor der eigenen Haustüre braucht man sich vor gar nichts mehr zu fürchten, als noch im allerletzten Dickicht erholungssuchende Städter sich nur zu gerne einem ausgedehnten Waldbaden und anderen Entspannungstechniken hinzugeben pflegen. Für jeden von uns hält die Tourismusbranche – wenn sie nicht gerade von Pandemien ausgebremst wird – irgendwo auf dieser Welt ein einsames Fleckchen, ein idyllisches Stückchen Erde bereit, vermeintlich ganz und gar unberührte Natur, wo doch Natur eigentlich immer schon berührt ist, von den Pflanzen, die in ihr wachsen, den Tieren, die sie beleben, den Ureinwohnern etwa der First Nations, und vielen anderen mehr, und uns selbst, wir also mittendrin.

Der Naturraum, den die in Kornwestheim und Stuttgart lebende Künstlerin Sibylle Möndel vermittelt, ist so denn auch von anderer Beschaffenheit, eine andere Wildnis. Natur und Mensch in einem gemeinsamen Raum zusammen, sowohl mit den Konflikten, die diese Koexistenz bereithält, als auch mit den damit verbundenen Chancen und Möglichkeiten. Die jüngst entstandenen Metamorphosen (2021), mit Asche, Pigment und Siebdruck auf Rohleinwand gefertigt, hat Sibylle Möndel für die aktuelle Ausstellung zu einem 6-teiligen Block zusammengefasst, der exemplarisch als Bühnenraum Natur nun auf der Bühne des Biberacher Komödienhauses platziert ist. Verschiedene Arten biomorpher Wurzelgebilde und feiner Verästelungen gehen dabei zu den Darstellungsrändern hin in orthogonale Farbstreifen über – Barcodes oder metallischen Klammern gleich, die mehr menschengemacht technisch erscheinen als gewachsen. Dadurch kann genauso der Eindruck entstehen, als ob sich organische Pflanzennatur allmählich in eine Maschinenarchitektur zu verwandeln anschickt, wie umgekehrt technische Konstrukte – von den Peripherien zur Bildmitte hinstrebend – wieder in natürliche Gebilde (gewissermaßen hier tatsächlich Zurück zur Natur!) übertragen werden.

Wie häufig bei Sibylle Möndel verweisen auch diese neuen Metamorphosen in formaler Hinsicht auf Bildverwandlungen in den Zwischenbereichen von Malerei, Fotografie, Siebdruck, Materialarbeit und anderen Darstellungsmedien hin, in inhaltlicher Hinsicht dagegen auf jene Zwischenräume, in denen sich eben Mensch und Natur begegnen. Dabei muten die von Sibylle Möndel angelegten Gelände, Wege und Wegsysteme – als die die metamorphen Verästelungen gelesen werden können – doch eher labyrinthisch unwegsam und verwildert an. Trial and Error, Irrweg und Ausweg zugleich, Vor und Zurück – auch im Vergehen von Zeit, dem Speichern, Löschen und wieder Überschreiben eigener Bilder und Erinnerungen. Wenn in den von der Künstlerin ausgebreiteten Arealen nämlich überhaupt je menschliche Figuren auftauchen, sind sie meist nur schemenhaft angedeutet, anonymisierte Jedermenschen quasi. Wie diese sich durch die mehr oder weniger naturbelassenen oder doch weitgehend chaotisch überwucherten, ja bisweilen zerstörten Bilddickichte – wegwärts (2018), wie die hier gezeigte großformatige Arbeit betitelt ist – durchzuschlagen fähig sind, bleibt aber ungewiss.

Wie sich unser eigenes Leben – vielleicht Überleben, menschliche Existenz allgemein – aber im Spannungsfeld von Technik und Natur, ökonomischen Zwängen und sozial vertretbaren Rahmenbedingungen verhält, macht Sibylle Möndel in dem über Eck präsentierten Fries Netzwerk Wald (2018) deutlich. Die digitale Zahlenwelt von je Null und je Eins – Entweder Oder – drängt in dichten Zeilen, Texten und Kolonnen die nur noch spärlich vorhandene Landschaft fast völlig in den Hintergrund. Die vereinzelt sichtbaren Baumskelette erinnern höchstens noch an die Folgen unsinnigster Flächenbombardements zurückliegender Kriegsepochen oder an das verheerende Waldsterben unserer Zeit. Selbst wenn die langen Zahlenreihen von Null und Eins uns auch daran erinnern mögen, dass wir darin frei sind, Entscheidungen für die Natur oder aber gegen sie zu treffen, der Wald als Sehnsuchtsort, wie er es den Romantikern einst gewesen war, ist längst schon ein verlorenes Paradies.

Fast spielerisch leicht hingegen ist Sibylle Möndels vielteilige Vogelformation (2018) all over über die Fensterwand verstreut. Gewissermaßen „Membran zwischen Innen- und Außenwelt“ (S.M.) erscheinen aber auch sie ambivalent: sitzen sie denn etwa im Käfig dieses Ausstellungsraumes hier oder können sie sich vielleicht ja doch jederzeit erheben, um aus den Fensteröffnungen davonzufliegen? Oder suchen sie vielmehr die menschliche Gesellschaft, als sie – um ihre angestammten natürlichen Habitate gebracht – nunmehr auf Hausdächern, Fernsehantennen und Kabeln sitzen müssen? Die einen Metaphern von Freiheit, Frieden und Bewegungsdrang, die anderen, die schwarzen Rabenvögel seit jeher vom Menschen als Unglücksboten interpretiert. Im Schwarm jedenfalls (so zeigt es die Einladungskarte zu dieser Ausstellung) lösen sich ihre Einzelsilhouetten auf zu einem schier gegenstandslosen, poetisch rauschenden Schwingen, das stille Kreise über einem feurig versengten Erdunteren zieht, bevor es bis zum nächsten Vogelzug wieder verklingt.

In ihrem bemerkenswerten Essay Die Wildnis gibt es nicht (Science Notes Magazin, Heft 6, 2020) schreibt Svenja Beller zu ihrem eigenen Verständnis von Naturraum: „Aber warum muss Natur unberührt sein, damit wir sie als Wildnis und damit als erhaltenswert anerkennen? Oder anders gefragt: Warum darf jedes andere Lebewesen sie berühren, nur wir nicht? […] Wenn die Bezeichnung [Wildnis] uns dabei hilft, Ehrfurcht, Bescheidenheit und Staunen gegenüber der Natur zu empfinden, dann erfüllt sie eine wichtige Funktion. Wir täten allerdings besser daran, uns aus der Wildnis nicht länger auszuklammern. Warum sollte sie nicht auch im nächstgelegenen Gebüsch zu finden sein, statt nur in der erhabenen Weite? Der Baum im Garten, der nahe gelegene Teich, die brach liegende Parzelle im Neubaugebiet – das alles kann Wildnis sein, wenn wir es zulassen. Es ist Zeit, uns in der Wildnis und die Wildnis um uns anzuerkennen.“ Nichts anderes zeigen im Übrigen die Arbeiten von Sibylle Möndel. – Mit ihnen erkennen wir sowohl uns selbst als substantiellen Teil von Wildnis an als auch die Wildnis als solche um uns herum.

Abende

Katalogauszug:
Dr. Barbara Renftle,
BEWÖLKT – Der Himmel in der Kunst. Vom Goldgrund zum Wolkenberg, Biberach 2020

Auch in der Werkreihe Abende I-IV von Sibylle Möndel verdichtet sich das Atmosphärische zu düster dräuenden, gestisch aufgeladenen Wolkenhaufen oder schwarzen Balken, die schwer über Häusern und Landschaft lasten. Ein gestisch-informeller Form- und malerischer Eigenwille ballt sich über den Hausdächern als den Relikten einer irdischen Wirklichkeit zu beinahe apokalyptischer Bedrohung. Lichte farbige Flächen in Möndels Himmelserscheinungen lassen das Schwarz nur umso deutlicher hervortreten. Die menschliche Zivilisation ist der unbeherrschbaren, unheimlichen Gewalt der Natur ausgeliefert – darauf deutet nicht nur die ungemeine, malerische Wucht des Wolkengeschehens, sondern auch die formale Gewichtung des Atmosphärischen im Bildganzen. In einer Symbiose aus Malerei und Siebdruck verknüpft Möndel die Ebene der Zivilisation mit einer subjektiv malerischen Ekstase zu einem suggestiven, traumartigen Bilderlebnis. Hierzu werden am Computer bearbeitete Fotografien in selektiven Ausschnitten in der Technik des Siebdrucks auf die Leinwand gedruckt und mit Malerei durchzogen, verschleiert, verwischt, kommentiert. In dieser eigenwilligen Kombinationstechnik muten die offsetähnlich gerasterten, gegenständlichen Motive wie Relikte einer zivilisatorischen Wirklichkeit an, die von einer malerischen Formauflösung ergriffen werden und unter ihr zu verschwinden drohen. Dennoch bleibt der figurative und landschaftliche Bezug gewahrt – in einer Art „Grenzland“ des Atmosphärischen.

Pflanzungen

Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg
Katalogtext Pflanzungen, Sibylle Möndel, 2020

Weiter als jenseits von Eden

In der Folge Anpflanzungen (2020) – einer Reihe von Arbeiten mit Malerei und Siebdruck auf Leinwand – bezieht sich Sibylle Möndel auf ein Bildmotiv, das mehreren Generationen aus dem deutschen Alltagsleben altvertraut ist. Doch selbst im Bewusstsein dieser Menschen wie ohnehin in demjenigen der Nachgeborenen scheint es heute kaum mehr nachzuwirken. Als Symbol für den Wiederaufbau im Nachkriegsdeutschland zierte die Figur einer Baumpflanzerin zwischen 1949 und 2001 jedenfalls ein halbes Jahrhundert lang die Bildseite des 50-Pfennig-Stückes. Optisch galt jene Münze bei der Bevölkerung – bereits glitzerndes Bindeglied zwischen den einfachen Groschen in Gestalt unedler Metalle hin zu den Silberlingen der damals neuen Deutschen Mark – als eines der beliebtesten Zahlungsmittel.

Der hessische Bildhauer Richard Martin Werner (1903–1949) hatte das bildseitige Motiv nach Aktzeichnungen seiner Frau Gerda Johanna „Jo“, geborene Heiser (1914–2004) angelegt, die selber künstlerisch tätig war. In der von den nationalsozialistischen Kulturfunktionären in München eingerichteten Großen Deutschen Kunstausstellung war Werner mehrfach mit seinen weiblichen Aktfiguren vertreten gewesen, die an die Ideale der klassischen Antike anknüpfen wollten. Auf Drängen der sorgenvollen Nachkriegsbankiers wiederum musste Werner jedoch seine ursprünglich nackte Kniende, die sich anschickt eine junge Stieleiche – die „deutsche Eiche“ ein nationales Symbol über verschiedene Epochen hinweg – zu pflanzen, sittsam unter einem Kleid und mit einem Kopftuch verhüllen.1 Sinnbildhaft sollte so den sogenannten Kulturfrauen Respekt gezollt werden, die gewissermaßen als Trümmerfrauen des Waldes nach 1945 die von Krieg und Kriegswirtschaft stark dezimierten Wälder vor allem in Niedersachsen wieder aufgeforstet hatten.

Bei Sibylle Möndel erscheint das geheimnisvoll und teilweise bis zur schieren Unsichtbarkeit in ihre eigenen Arbeiten eingewobene Bildzitat allerdings in komplexeren Zusammenhängen. Ihre in einer weitgehend reduzierten Farbigkeit gehaltenen Anpflanzungen zeigen dabei kniende Figuren als schwarze, archaisch wirkende Silhouetten. Ob Frau oder Mann, sind sie von der Künstlerin allgemeiner als Menschenwesen gefasst. Ganz der Erde zugewandt verrichten sie verschiedene Tätigkeiten, die gemäß dem Werner’schen Vorbild tatsächlich mit gärtnerischen Vorgängen verbunden werden können. Unwillkürlich denkt man aber angesichts der Figuren, die inmitten des ins Übergroße gesteigerten Kreises des stilisierten Münzenrunds knien, sie könnten ebenso gut auch mit Feuermachen, dem Sammeln von Zweigen und Gegenständen oder anderen kultischen Handlungen beschäftigt sein. In jedem Fall ist die übrige Pflanzenwelt, die sie ansonsten umgibt, reichlich ausgedörrt. Erst auf jenen Leinwänden, die von menschenleeren, modernistischen Architekturfragmenten geprägt sind, treibt das vertrocknete Geäst ausgerechnet riesenhaftes Eichenlaub aus, das die Natur die entseelte Welt städtischer Stahl- und Glasfassaden wieder zurückerobern lässt.

In dieser verrätselten Zwiesprache von malerischen Flächen und scharf gezeichneten Konturen, konkreter Form und Auflösung derselben spiegelt sich auch das über die Zeitläufte beziehungsreiche Verhältnis von Natur und Kunst, Geld und Geschichte wider. Blieb die Person, die ehedem für ein Geldstück Modell gestanden hatte, das wir nur zu gerne angesehen und ausgegeben haben, fast 40 Jahre lang unbekannt,2 räumt Sibylle Möndel umgekehrt allen Namenlosen der Jetztzeit einen Platz in ihren Arbeiten ein. Sie leben in der Natur, machen das Land fruchtbar, ohne den Urgrund und die Vorläufer zu vergessen, denen sie ihre Existenz verdanken, und hegen dennoch zugleich ihre Anpflanzungen so, dass uns der wirtschaftliche Wildwuchs nicht noch immer mehr zu Kopfe steigt. „Die antiken Dichter beseelten alle Dinge der sinnlichen Wahrnehmung mit Göttern oder Geistern, verliehen ihnen Namen und statteten sie aus mit Eigenschaften von Wäldern, Flüssen, Bergen, Seen, Städten, Völkern und was immer ihre erweiterten und zahlreichen Sinne gewahren konnten. Und im besonderen studierten sie den Geist jeder Stadt und jedes Landes, denen sie einen Platz unter ihren jeweiligen geistigen Gottheiten zuwiesen; bis ein System entstand, aus dem einige ihren Vorteil zogen […] Und schließlich verkündeten sie, dass die Götter dies so angeordnet hätten. So vergaßen die Menschen, daß alle Götter in der menschlichen Brust wohnen.“3

1  Zuletzt gelangte die Darstellung im September 2020 ein weiteres Mal zu Ehren. In T-Shirt, Jeans, Sneakers, Smartwatch und mit offenen Haaren zierte Werners auf das digitale Zeitalter upgedatete Baumpflanzerin den Bundesparteitag der Freien Demokraten (FDP) als Leitmotiv für ihre – wie sie es dort betitelten – „Mission Aufbruch“.
In der ZDF-Sendung Menschen präsentierte im Jahr 1987 der Moderator Frank Elstner Gerda Johanna Werner als die „50-Pfennig-Frau“.
William Blake, Zwischen Feuer und Feuer (Orig.: The Marriage of Heaven and Hell), Platte 11 (übersetzt von Thomas Eichhorn), München 1996, S. 225

 

Refugien

Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg
Eröffnungsrede im
KUNSTRAUM kleine galerie, Bad Waldsee, Januar 2019

[…]
Refugien – Zufluchten der besonderen Art – bieten uns die Arbeiten der in Kornwestheim und Stuttgart lebenden Künstlerin Sibylle Möndel in jedem Fall. Angesichts ihres in der aktuellen Ausstellung breit angelegten Waldfrieses in Bad Waldsee und des gegenübergestellten 65-teiligen Ikonostasen-Feldes aus Kleinformaten, die aus einer einzigartigen technischen Symbiose aus Malerei und Siebdruck auf Leinwand entwickelt sind, wird allerdings umgehend deutlich, dass hier keinerlei irgendwie leicht zugänglichen Gebiete gemeint sind, also keine utopistisch motivierten Ausflüchte vor einer als real erfahrbaren Wirklichkeit (das wären dann mithin Weltfluchten) um uns herum, im Gegenteil! Vielmehr scheinen Umwege und Auswege aus dem unverantwortlichen Umgang mit der Natur und den Menschen darin – und damit lebenswerte Zukunftsperspektiven – vorgezeichnet, die bei allen auch noch so dickichten Verschlingungen und Hindernissen immer wieder neu erkämpft werden wollen und müssen.

Gewiss: in Anbetracht der unendlichen Kombinationen der Zahlenreihen von Null und Eins des möndel’schen algorithmischen Frieses muss das Gestrüpp der uns im Alltag umgebenden digitalen Informationen zunächst als völlig undurchdringlich wirken. Mal fluten sie in gleichgeschalteten Reihen das Blickfeld, mal brechen sie seitwärts aus, schemenhaft im Zwielicht verschwindend, dann wieder skandieren sie – sich über alle anderen erhebend – lautstark ihre einsilbig tönernen Befehle. Blindlings lässt die ansonsten so weit verbreitete, gauklerische Virtual Reality der Werbewarenwelt dabei aber völlig außer Acht, dass die existenziellen Dinge des menschlichen Lebens – Geburt und Tod, Krankheit und Hunger, Liebe und Ablehnung – nach wie vor noch durch und durch analoge Phänomene darstellen, die so nicht einfach zu imitieren, also wirklich wirklich sind.

Fraglich erscheint demnach umso mehr, ob die den Menschen umgebende Natur tatsächlich den Trost und jene Zufluchtsstätten gewähren kann, die wir uns aus ihr zu erhoffen belieben. Quadrierte Waldstücke, aus Malereien und Siebdruck komplex verschichtet, breitet Sibylle Möndel so ein fortlaufendes geradezu cinemaskopisches Raumkontinuum von Landschaft aus, das die Beschaffenheit dieses Schutzraumes offenhält. Menschenleer mag ihr Betrachter hinter den Schleiern der Farbe und all den von der Zeit verwischten Erinnerungen verborgen von ferne Gestalten erahnen oder ebenso den vagen Schatten einer Behausung (Heimat ist aber ein großes Wort). Mut jedenfalls ist hier vonnöten, sich auf den gefährlichen Weg dorthin ins Innere und uns (wie der in den Arbeiten allgegenwärtige Hund) auf die Spurensuche zu begeben, wo die stets gleichen Entscheidungen von Ja und Nein, Nein und Ja lauern, die die unausweichliche Matrix in unseren Köpfen bilden.

Nicht umsonst kehren aus dem – mindestens medial überlieferten – Bildgedächtnis zwangsläufig auch jene endlosen Schreckenspanoramen wieder auf, die die vom Dauerbeschuss zerfetzten Baumkadaver und jene bis zur Unbewohnbarkeit geschundenen Kraterlandschaften des Ersten Weltkrieges zeigten, und die die allenfalls Überlebenden in die Flucht zu schlagen vermochten. Forderungen nach einer allgemeinen Bildlosigkeit aber, wie sie exemplarisch etwa von Theodor W. Adorno (1949) als Reaktion auf die menschen-unmenschen-gemachte Barbarei wie der in Ausschwitz erhoben worden waren, entgegnete schon Paul Celan durchaus hoffnungsvoll, als er meinte: „Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache. Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja. Trotz allem. Aber sie musste nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede.“* Wohin anders denn als in solche heilsamen Bildverstecke sollten letzte Zufluchten noch führen?
[…]

* Paul Celan, Gesammelte Werke, Frankfurt am Main 1986, Bd. III, S. 185f.

Gebiete

Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg
Eröffnungsrede in der
Galerie der Stadt Wendlingen, April 2018

Karte und Gebiet war vor einigen Jahren der preisgekrönte Roman des Enfant terrible der französischen Gegenwartsliteratur Michel Houellebecq betitelt, der im Jahr 2010 im Original, 2011 in deutscher Übersetzung erschien und auf Anhieb alle Bestsellerlisten stürmte. Darin war es dem berühmt-berüchtigten Skandalautoren ausnahmsweise einmal nicht (wenigstens nicht vorrangig) um die von ihm sonst gewohnte Publikumsbeschimpfung und einen allgemeinen Kulturpessimismus zu tun. Vielmehr nimmt im Buch die pointiertere Persiflage der internationalen Galeristenszene seinen Lauf in dem Moment, als der von Houellebecq frei erfundene Maler Martin mutwillig sein programmatisches Bild „Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“ zerstört. Fortan fotografiert der Romanheld eher Ausschnitte von Michelin-Straßenkarten, die er nachträglich bearbeitet und in einer Werkschau unter dem Titel „Die Karte ist interessanter als das Gebiet“ präsentiert, die ihn über Nacht zum millionenschweren Künstlerstar macht. Die Faszination für Landkarten scheint immerhin autobiografisch belegbar zu sein, als Houellebecq in einem seiner seltenen – wenn auch meist nichtssagenden – Interviews dazu äußerte: „Als Kind haben sie [die Landkarten] mich schon fasziniert. Die Straßen, die grün markiert sind, als besonders schöne, die Sterne, die auf Aussichtspunkte hinweisen, das alles ist schön gemacht. Auch die Reliefs. Die Farben sind genau ausgesucht. Sie sind einfach schön anzuschauen.“

Dabei ist hier aber tatsächlich ein verbreitetes Phänomen bezeichnet, das mit der immer weiter voranschreitenden Virtualisierung der Wirklichkeit und der damit verbundenen Vielfalt bzw. Vielheit der in den Medien verbreiteten Bilder einherzugehen pflegt. Sind wir in früheren Jahren (im Auto mitfahrend) wenigstens noch mit dem Finger auf der Karte oder im Atlas Stück für Stück dem zurückgelegten Weg gefolgt, blenden wir heute mithilfe diverser Navigationsgeräte die Gegenden links und rechts der Strecke vollständig aus, um nur ja rasch und umweglos zum angegebenen Ort zu gelangen. Am Ziele angekommen müssen in rekordverdächtiger Zeit all die fremdbestimmten POI’s – Points of Interest – abgeklappert und zum Beweis des vermeintlich höchstpersönlich Vorgefundenen Myriaden beliebig austauschbarer Selfies angefertigt werden, die doch nur immer wieder Abziehbilder medial vorgelebter Klischees darstellen, um sogleich atemlos zur nächsten Destination zu rasen. Die Karte ist (vordergründig) interessanter als das Gebiet, denn die Karte ist der Plan, die virtuelle Reise, das Morgen und das mögliche Mehr, Noch Mehr. – Gebiete aber muss man erst finden, sich in ihnen und im Jetzt (der Wirklichkeit) zurechtfinden und in der Folge davon unvermeidlich Seitenblicke wagen.

Sibylle Möndel nun führt uns mit ihren Arbeiten in ein Gebiet – in ihre (Bild)Gebiete gewissermaßen –, die einer sehr viel komplexeren Auffassung und Wahrnehmung bedürfen. Statt der wahllosen Anhäufung reiner Abbildmassen gehen diese jedoch auf die Verschichtung ganz und gar unterschiedlicher Ebenen zurück, die die intensiv erfahrene Wirklichkeit um sie herum – samt und besonders auch anhand von Versatzstücken millionenfach reproduzierter Medienbilder – mit einer gänzlich eigenen Sichtweise der Welt verbindet. Auch wenn sich die Künstlerin mit verschiedenen Werkgruppen offensichtlich auf ganz verschiedene Gebiete begibt, so zeigt die aktuelle Ausstellung doch auf außergewöhnliche Weise, dass wir uns stets auf einem irgendwie zusammengehörigen Terrain – eben dem Gebiet einer völlig eigenständigen (und somit eindeutig wiedererkennbaren) künstlerischen Ausdruckssprache – bewegen, in der ein Bild das andere zu ergeben scheint und damit gleichsam Weite erhält.

Dieser Eindruck einer in sich geschlossenen und konsequent sich weiter entwickelnden Vorstellungswelt beruht sowohl auf dem Themen- und Motivkreis, den Sibylle Möndel bevorzugt behandelt, als auch auf ihrer künstlerischen Vorgehensweise selbst. Mensch und Natur stehen im Mittelpunkt ihrer Sujets, beide Seiten in der Regel je für sich alleinstehend, nur ein Hund (oder ist es vielleicht doch ein Wolf?) verirrt sich da mitunter in die Wildnis ihrer scheinbar ursprünglich belassenen Landschaften. Als schier unauflösbare Dickichte müssen andererseits auch die Verdichtungen der verschiedenen, im Allgemeinen als eigentlich einander widerstrebend geltenden künstlerischen Techniken wirken, die Sibylle Möndel in eine einzigartige Symbiose zu bringen versteht; von freier, gestischer Malerei hier, mit am Computer bearbeiteten Fotografien dort, von denen einzelne Kompartimente per Siebdruck auf die Leinwände versetzt sind und zugleich doch alle sämtlich – Malgestus, Fotografie, grafische Raster und Lineamente – sozusagen wie aus einem Guss anmuten. Es handelt sich um informelle Malerei, aber sehr wohl Form und Fläche konstituierend, es handelt sich um Fotografisches, aber nirgends abbildhaft gedacht, und – handwerklich betrachtet – ist es klassischer Siebdruck, aber nie etwa zum Zweck der Herstellung von Auflagenobjekten angewandt. Seit 2014 in der Siebdruckwerkstatt des Künstlerhauses Stuttgart arbeitend, hat Sibylle Möndel diese Kombinationstechnik inzwischen immer weiter verfeinert und wendet sie in mehrfachen Arbeitsgängen abwechselnd miteinander an.

In den auf diese Weise entstehenden beziehungsreichen Überlagerungen von Ebenen gilt es für die Figuren im Bild ebenso wie für die das Bild Betrachtenden, eigene Pfade durch die Sinn- und Augenlabyrinthe zu finden, Wege und Unwägbarkeiten immer wieder neu zu bemessen. Unabhängig davon, ob wir es angesichts der gezeigten Darstellungen mit Opfern von Landminen, Gruppen von Zuflucht Suchenden oder auch etwaigen Selbstbildnissen der Künstlerin zu tun haben, vergibt Sibylle Möndel für ihre Arbeiten in aller Regel in jedem Fall ausschließlich Nummern und keine Titel, und sie fordert damit die individuelle Imaginationsgabe jedes Einzelnen noch zusätzlich heraus. Trotzdem wirken ihre wiederkehrenden Landschafts- und Figurenmotive sowie die vor allem aus dem Zeitungswesen allgemein bekannte, offsetähnliche Rasterung so, als hätten wir es dennoch mit einem gemeinsamen, kollektiven Bildgedächtnis zu tun, fragmentarisch verschwommene Erinnerungsfetzen und Zeitschnitte gewissermaßen, die jede/r von uns in sich zu tragen vermag.

Im Werkkomplex der Waldstücke beispielsweise, erscheinen – wie ein un- oder doch unterbewusster Subtext untermengt – geisterhaft verwischte Silhouetten einer Waldlandschaft, die organisch mit der freien Linie verschmelzen oder sich in lichte Flächen – fotografischen Mehrfachbelichtungen nicht unähnlich – traumartig verselbständigen. Den im übertragenen Sinne genannten Erinnerungsfetzen kommen an mancher Stelle die kleinformatigen Leinwände in formaler Hinsicht insoweit gleich, als diese zum Teil gar nicht erst auf einen Keilrahmen aufgespannt sind, sondern die unregelmäßig ausfasernden Säume des Stoffes aufweisen und so den Charakter von aus einem größeren Ganzen entnommenen Bruchstücke darstellen. In diesem nachgerade filmisch-szenischen Ablauf, in die uns die breit angelegten Bildzyklen Sibylle Möndels versetzen, kommt besonders die Bedrohtheit der Natur zum Ausdruck, einer Naturlandschaft, in der sich Mensch und Tier danach sehnen, in einen vergessen geglaubten, ursprünglich naturhaften Lebensraum wieder zurückkehren zu können.

Doch nicht weniger Wildnisse erwarten uns und den Betrachter bekanntlich im Gestrüpp der Großstadtdschungel. In einer weiteren, umfangreichen Werkreihe – von der Künstlerin schlicht Wege benannt – versuchen sich Einzelfiguren und Figurengruppen im urbanen Umfeld zu orientieren. Im Ungewissen, ob dort tatsächlich ernsthafte Kommunikation und menschliche Interaktion stattfinden kann, sind es vorwiegend Figuren, die uns den Rücken zuwenden oder den Kopf gesenkt halten. Was sie bewegt, können wir allenfalls noch ahnen, doch auch hier kommen uns die allgemein geläufigen und von der Künstlerin schemenhaft evozierten Emotionen wie Abschied, Schmerz oder Enttäuschung aus dem eigenen Erfahrungsschatz unvermeidlich in den Sinn.

Kennten sie/Sie alle also den vorgezeichneten Weg, woher sie gekommen sind und wohin sie von nun an gehen sollten, die Karte wäre möglicherweise in der Tat interessanter als das Gebiet … Die Bildgebiete von Sibylle Möndel aber machen deutlich, dass die Gebiete der eigenen Zeit und Wirklichkeit immer noch interessanter und lebendiger zu erscheinen vermöchten als alle anderen Karten zusammengenommen.

Lost in migration

aus:
Dr. Simone Husemann
Positionierung zur Transzendenz „Hier stehe ich! … Standpunkte die bewegen“

Aktuelle Kunst und Literatur zum Reformationsjahr 2017

Stoß an Stoß reiht sich Bild an Bild; der so entstehende Bilderfries der Malerin Sibylle Möndel wird selbst zu einer Barriere, der man sich stellen muss, die es zu überwinden gilt. Der vorherrschende Farbklang wird bestimmt von einem lauten Blutrot, alles gefiltert durch ein staubiges Grau, das an manchen Stellen das dominante Rot zu einem Rosé aufweicht.
Alles noch als gegenständlich zu Erahnende ist von einem tiefen Grauschwarz: Maschen- und vor allem Stacheldraht und dann immer wieder Beine, die denselben übersteigen. Schemenhaft sind die Konturen der Rückansichten der Personen auszumachen, die sich von uns entfernen: gemeinsam Hand in Hand oder allein, andere den Stacheldraht fassend. Die Fratze des Todes besetzt grinsend die Mitte der Komposition.

Es ist die große Tragödie unserer Zeit, 60 Millionen von Menschen sind auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, ökologischer Krisen und Armut.
Gleich einem modernen Totentanz ist dieser Bilderreigen noch nicht an sein Ende gekommen. Die Künstlerin arbeitet aktuell an weiteren Tafeln.

Die von ihr gewählte Technik unterstreicht ihre bildnerische Anklage. Die Leinwände sind zum Teil mit Asche grundiert. Souverän nutzt Sibylle Möndel die Technik des Siebdrucks neben gestischer Malerei und freier Zeichnung. Bilder täglichen Grauens – unsere Augen sind längst an die Fotos der internationalen Presseagenturen gewöhnt – werden von ihr wiederverwandt. Erst in der künstlerischen Verarbeitung entfalten diese Bilder ihre tatsächliche Wirkung. Durch die Wiederholung bestimmter Bildelemente erhält diese visuelle Barriere vor unseren Augen eine Rhythmisierung, die sich unablässig und zugleich unbarmherzig wiederholt.
Durch die Verwendung des Siebdrucks werden zudem nicht nur Fragmente aus der Tagespresse zitiert und damit Fragmente aus einer Wirklichkeit in eine andere gehoben, sondern durch diesen schichtweisen Aufbau des Bildes wird auch Räumlichkeit suggeriert. Andere frei gearbeitete Strukturen lösen sich indes gänzlich vom Gegenständlichen und formen kreuzesähnliche Strukturen.

Sibylle Möndel hat mit dem Fries GrenzLAND ein eindrückliches Werk geschaffen, das die Grenzen unseres Menschseins aufzeigt.

Aufbruch ins Ungewisse

Angelika Flaig

Katalogauszug: Carl Laemmle reloaded, eine Hommage an den Gründer Hollywoods anlässlich seines 150. Geburtstages
Museum zur Geschichte von Christen und Juden, Laupheim 2017

Sibylle Möndels homage á Carl Lämmle bezieht sich auf dessen Mut, in all seinen Lebensbereichen neue Wege zu gehen. In einer neuen Heimat, auf einem neuen Kontinent medial Pionierarbeit zu leisten, war einmalig.

In „Grenzland“, einem Bilderzyklus von ca. 50 großformatigen Arbeiten, thematisiert die Künstlerin ein sich durch alle Jahrhunderte durchziehendes Phänomen, nämlich das der Wanderung in neue Gebiete.

Um die Schichten der Erinnerungen im inneren Kosmos sowohl des Einzelnen als auch ganzer Gruppen und sogar Völkern zu thematisieren, entwickelte Sibylle Möndel eine Bildfindungstechnik, basierend auf konventioneller Acrylmalerei, dem Tafelbild auf Leinwand, wobei die Technik des Siebdrucks Schichtungen und Überlagerungen verdichtet.

Grobgerasterte Fotografien – gefunden in Printmedien und dem Internet – finden verfremdet Eingang in malerische Basisstrukturen und Farbfelder.

Das Überschreiben von Geschriebenem, das Übertönen von Gesagtem und das Verschwinden von Erinnerungen gipfelt bei Sibylle Möndel im Verblassen von Farben, Zeichen und Figuren im Jetzt, dem Jetzt des gestalteten Moments, bei ihr im Bild, bei Laemmle in jeder Sequenz seiner schwarzweißen Welten im Film.